Das große Aufräumen bei Schmiedag nach der Flutkatastrophe

Im Prinzip ist es ein recht idyllisch gelegenes Plätzchen, an dem sich die Hallen der Schmiedag GmbH in Hagen befinden. Östlich des Werksgeländes, auf der gegenüberliegenden Seite der B54, geht’s in Richtung Hagener Innenstadt, westlich des Geländes geht es hinauf auf die bewaldete Philippshöhe. Das Werksgelände wird durch das Flüsschen Volme in einen westlichen und östlichen Teil geteilt, mehrere Brücken führen vom Eingangsbereich mit den Verwaltungsgebäuden zum Westteil mit der Schmiede.

Nach der Katastrophe in Hagen wird der Erwärmer geborgen und für den Weg zu ABP transportfähig gemacht.

Am 14. Juli 2021 wurde aus der idyllischen Lage eine Katastrophe: Bei dem massiven Unwetter, das Nordrhein-Westfalen an dem Tag heimgesucht hat, entstand eine Hochwasserlage, die binnen kürzester Zeit die Volme hatte anschwellen lassen – bis sie letztlich über die Ufer trat und das Werksgelände mit allen Maschinen, Anlagen und Einrichtungen überspülte. 17 Mitarbeiter mussten sich auf ein Hallendach retten und in der Nacht ausharren – es war der letzte Ausweg.

Etwas mehr als ein Jahr später herrscht wieder rege Betriebsamkeit auf dem Gelände. Optisch erinnert fast nichts mehr an die Katastrophe von vor einem Jahr, und auch der Erwärmer von ABP Induction läuft wieder reibungslos. Auch dieser stand nach der Unwetterkatastrophe unter Wasser. Nach dem Rückzug des Wassers wurde das Gerät von ABP geborgen, gereinigt und überholt, um die ertüchtigte Anlage dann wieder an die Schmiedag zu übergeben. Bis dahin musste das Hagener Unternehmen allerdings einige brenzlige und existenzbedrohende Wochen überstehen.

Flutkatastrophe in Hagen: Im Juli 2021 tritt die Volme über die Ufer

Wenn man aus dem Fenster im Besprechungsraum der Schmiedag-Verwaltung auf die Volme blickt, kann man kaum glauben, was Prokurist Detlef Müller über die dramatischen Stunden vom 14. auf den 15. Juli 2021 erzählt: „Durch den Dauerregen stieg die Volme stetig an, stand nachmittags schon kurz unter der Brücke. Ich bin dann rüber in die Schmiede für einen Kontrollgang, und als ich etwa eine halbe Stunde später wieder aus der Halle heraus kam, floss das Wasser schon über den Brückenbelag.“ Müller ging wieder zurück in die Halle, ließ die Produktion sofort abbrechen und alle Mitarbeiter evakuieren. 17 Mitarbeiter haben es nicht direkt geschafft, Müller war einer von ihnen. Der Hauptfluchtweg vom Werksgelände, die Unterführung zur B54, war vollgelaufen; die Fahrzeuge der Werksangehörigen, die auf dem Mitarbeiter-Parkplatz noch standen – verloren. „Als das Wasser etwa 30 Zentimeter auf dem Gelände stand, habe ich alle angewiesen, auf eines der Mitarbeiterbüros zu klettern, über das wir im Notfall mit Leitern auch auf das Dach der Halle gekonnt hätten. Alles andere als das Verschanzen wäre zu gefährlich gewesen, denn das Wasser kam von allen Seiten und die Strömung war unberechenbar, mit einer ungeheuren Fließgeschwindigkeit.“

Als problematisch erwies sich nicht nur das Wasser, sondern auch das Treibgut auf der Volme, das von den Wassermassen mitgerissen wurde und sich an und auf den Brücken auf dem Werksgelände sammelte. Die südlichste Brücke mit dem meisten Treibgut wirkte wie ein Staudamm, der jederzeit brechen konnte, so dass noch mehr Wasser auf einen Schlag unkontrolliert in Richtung Werkshallen hätte fließen können. „Inzwischen war es auch dunkel, und wenn sich dann Treibgut löst und auf einen zusteuert, kann man praktisch nicht mehr entkommen. Klar war deswegen dann, dass wir die Nacht auf dem Werksgelände verbringen mussten, weil eben jeder weitere Fluchtversuch zu gefährlich gewesen wäre. Das Wasser stand am Ende auf einer Höhe von ca. 1,90 Meter über dem Boden der Hallen.“

Damit waren auch alle Anlagen überflutet. Das Team auf dem Gelände hatte vorausschauend gehandelt und das komplette Werk stromlos gemacht: „Die Elektriker denken in solchen Situationen natürlich mit, haben alle Hauptschalter entfernt, die Stromzufuhr gekappt, was sich im Nachgang als Vorteil bei der Schadensbegrenzung und beim Wiederaufbau entpuppt hat“, erklärt Müller.

Auch der Erwärmer von ABP war betroffen, war voller Wasser, Schlamm und Rückständen

Das auf dem Gelände verbliebene Team um Detlef Müller wurde am frühen Morgen mit Booten von der Bundeswehr gerettet. Später traf sich Müller mit einem Team, um die Lage zu sondieren und zu prüfen, ob das Gelände wieder betreten werden könnte. „Das Wasser ist das eine, aber als es sich zurückgezogen hatte, war alles voller Schlamm – überall. Und wir hatten mit Staub zu kämpfen, über Wochen, der sich überall absetzte.“ Auch der Erwärmer von ABP war betroffen, war voller Wasser, Schlamm und Rückständen. 

Der Fortbestand der Schmiedag hing in dieser Situation am seidenen Faden, wie der technische Geschäftsführer der Schmiedag GmbH, Heinz Klenen, erklärt: „Wenn gar nichts mehr funktioniert, weder Strom noch IT, und alle Maschinen betroffen sind – dann war das hier im Prinzip ein Totalschaden.“ Zugute kam dem Unternehmen allerdings die Zugehörigkeit zur Georgsmarienhütte-Gruppe. „Die Kollegen konnten schnell helfen – wir haben Produkte verlegt an andere Standorte, konnten Ressourcen nutzen, wie Fachleute, oder die gruppeneigene Betriebsfeuerwehr, die uns jede Menge Material liefern konnte, das wir hier gar nicht hatten – von Schaufeln über Schubkarren bis zu Pumpen“, erklärt Detlef Müller, „die Kollegen waren am Wochenende direkt da, haben abgepumpt und Bautrockner aufgestellt.“ Die motivierte Mannschaft sowohl in der Gruppe als auch am Standort Hagen trug viel dazu bei, dass bei der Schmiedag vergleichsweise schnell wieder produziert werden konnte.

Denn auch bei der Stromversorgung konnten die Kollegen aus der Gruppe helfen: Bei Elektroschaltanlagen und Stromeinspeisungen konnte ein Standort aus der Gruppe helfen, der über ähnliche Anlagen verfügte, wie die Schmiedag sie benötigte. So konnte man wesentlich schneller wieder starten, als wenn man eine komplett neue Einspeisung benötigt hätte. Mit der Hilfe konnte Ende August 2021 Hochspannung aufs Gelände gebracht werden und die erste Anlage wieder in Betrieb gehen. „Bei allem Unglück war auch viel Glück dabei“, erklärt Heinz Klenen, „mit den verfügbaren Ersatzmaschinen zum Beispiel, der schnellen Hilfe aus den anderen Werken, oder auch, dass wir uns gerade in der Reparaturphase befanden und die Öfen heruntergefahren hatten. Alle Vergüteöfen waren außer Betrieb – da hätte noch viel mehr passieren können, wenn diese im Vollbetrieb bei hohen Temperaturen gelaufen wären. Denn die fährt man auch nicht in einer halben Stunde herunter – zumal es auch keinerlei Vorwarnung gab, dass uns eine solche Flutkatastrophe treffen könnte, und auch nicht kurzfristig, dass sich Wassermassen auf uns zu bewegten.“

Dr. Marco Rische wirft einen prüfenden Blick auf den wieder eingebundenen Erwärmer. Die Anlage läuft!

Zur schnellen Rückkehr zur Normalität konnte auch ABP Induction beitragen. Bei der Schmiedag war die ABP-Erwärmeranlage vom Typ EBS 460 WK vom Hochwasser betroffen. Auch der Erwärmer stand wie gesagt zu einem großen Teil unter Wasser, war nach dem Rückgang des Wassers beschädigt und verdreckt. Im November 2021 inspizierte ein ABP-Team die Anlage, erstellte dazu ein Angebot für eine umfangreiche Modernisierung des Erwärmers. Praktisch alle relevanten Komponenten des Erwärmers mussten ausgetauscht und erneuert werden, angefangen vom Einspeisefeld mit Leistungssschalter und Sicherungen bis zu den vier IGBT-Umrichtern mit Netzdrosseln, Koppeldrossel, Steuerplatinen und Lüfter samt Steuerfeld. Auch sämtliche Stromwandler, Spannungswandler und die Isolationsüberwachung waren in Mitleidenschaft gezogen, außerdem der Antriebsschrank mit allen Frequenzumformern und dem Steuerpult.

„Da die alte Hardware nicht mehr erhältlich war, wurde eine neue, aktuelle Siemens-Hardware eingesetzt. Das Programm wurde hochgerüstet auf TIA. Somit ist die Erwärmungsanlage heute wieder steuerungstechnisch auf dem Stand einer Neuanlage“, erklärt Dr. Marco Rische, Director System Business bei ABP Induction. ABP konnte außerdem auf spezielle Wünsche zur Neukonfiguration der Anlage eingehen. Denn mit der Modernisierung sollte die Entnahme am Erwärmer von einem Schrägaufzug auf eine Roboterentnahme umgestellt werden. Dazu wurde ein Koppler-Modul eingesetzt, das für die Kommunikation und die Signalübermittlung zum Roboter sorgt. Auch das Engineering musste angepasst werden. ABP lieferte im Zuge dessen eine zweite Lichtschranke, damit Blockkleber effizienter erkannt werden.

Schmiedag-Erwärmer: Generalüberholung im ABP-Werk in Dortmund

Der Erwärmer wurde ins ABP-Werk nach Dortmund gebracht und dort generalüberholt. Bereits Mitte März 2022 war er komplett überarbeitet und konnte wieder an die Schmiedag ausgeliefert werden. „Uns war wichtig, hier schnell und unkompliziert zu helfen und bei der Modernisierung auch an allen möglichen Stellen das System zu verbessern. Heute ist der Erwärmer so leistungsfähig wie eine Neuanlage“, erklärt Dr. Marco Rische. Da spielen dann auch Aspekte wie Variabilität und Energieverbrauch eine Rolle. Entsprechend ist der Erwärmer auf die Bestückung und die Entnahme abgestimmt, der Betrieb energieoptimiert und durch die Einführung der Roboterentnahme durchsatzoptimiert.

Die Erwärmer-Anlage von ABP Induction wurde bei der Neuinstallation direkt erweitert – zum Beispiel um eine Entnahme per Roboter.

Auch die anderen Systeme und Anlagen bei der Schmiedag wurden Schritt für Schritt wieder in Betrieb genommen. Gut geschützt war beispielsweise der Backup-Server mit allen relevanten Betriebs- und Kundendaten. „Gücklicherweise haben wir die Position des Servers so geplant, dass er über der Wasseroberfläche blieb.“ Das habe bei der Wiederaufnahme des Betriebes geholfen: „Ohne die Daten wäre nichts mehr gegangen.“

An so eine ähnliche Katastrophe können sich selbst langjährige Schmiedag-Mitarbeiter nicht mehr erinnern: „Ein Kollege in der Instandhaltung ist jetzt seit knapp 45 Jahren hier und hat so etwas noch nicht gesehen. Man kann nicht jedes Szenario durchdenken. Aber mit dem Wissen von heute sind wir jetzt anders vorbereitet auf eventuelle Fälle in der Zukunft.“